Über die (Un-)Erschrockenheit
Keiner mag Konflikte. Ich auch nicht, obwohl es ja ein großer Teil meiner beruflichen Tätigkeit ist, andere bei der Klärung ihrer Konflikte zu begleiten. Aber da bin ich nicht direkt betroffen. Es ist anstrengend, zusammen mit angespannnten Menschen in einer Runde zu sitzen, die schon lange nicht mehr wirklich miteinander gesprochen haben. Die Dinge gesagt oder getan haben, von denen andere sich verletzt fühlen. Aber es ist auch sehr berührend, zu sehen, wie Menschen Mut fassen, ihre Wahrheit auszusprechen, wenn der Rahmen sicher genug ist. Wahrheit ist nicht immer schön im Sinne von „macht gute Gefühle“. Aber die Klarheit und das Verstehen und oft auch die Verbindung, die dadurch wieder entsteht, machen es lohnend, sich damit auseinanderzusetzen.
Über die Osterfeiertage hatte ich selbst einen Konflikt. Ich habe wieder alles erlebt – den Schock und den Schreck, wenn der auslösende Moment stattfindet. Den Schmerz, der – wie eigentlich immer bei Konflikten – mit aktuellen Bedürfnissen verbunden ist, aber auch alte wunde Punkte berührt. Die Wut, die anzeigt, wenn innerlich Grenzen tangiert sind. Die Wolfshow… Oh nein, ich bin in solchen Situationen kein bisschen erhaben über oder frei von Urteilen und Bewertungen (nur, falls das jemand gedacht hat 😉).
Und ich bin gleichzeitig dankbar für die Haltung und die Werkzeuge der GFK, die mir in solchen Situationen helfen: Das Anerkennen, dass sich Menschen immer wieder gegenseitig triggern und dass das Teil des Lebens ist. Das geduldige Auseinander-Fühlen von gegenwärtigen Gefühlen und Bedürfnissen (gehören in die Konfliktklärung) und alten Gefühlen bzw. unerfüllten Bedürfnissen (gehören in geschützte Räume für tiefere Selbst-Empathie, nur bedingt in die Konfliktklärung). Worte finden für die eigene Wahrheit. Das Gespräch suchen. Die Zuversicht, dass der Prozess der Gewaltfreien Kommunikation trägt, auch in solchen Momenten. Die Erleichterung, wenn das gegenseitige Sehen und Verstehen stattfindet und Verbindung entsteht. Das Aushandeln von Lösungen – das durchaus ein schmerzhafter Prozess sein kann, trotz aller Verbindung, weil Strategien wieder in der Welt mit ihren physischen Begrenzungen stattfinden.
All das hilft mir, den Mut aufzubringen, die Klärung anzugehen – und nicht aufzuschieben. Ich sehe in den Organisationen, in denen ich arbeite, die leidvollen Folgen für alle Beteiligten, wenn Konflikte – aus Unsicherheit oder Hilflosigkeit heraus – zu lange ignoriert werden. Ein sehr lokaler Beitrag zum Frieden also, aus der Erschrockenheit heraus den Ort der Unerschrockenheit in sich zu suchen.